New Work – eine Reise in die neue Arbeitswelt ohne Buzzword und Bullshit Bingo
Wenn der Begriff „New Work“ fällt, dann denken manche Leute zunächst an Bällebad und und Kickertisch. Andere Personen bringen den Begriff sofort mit Digitalisierung in Verbindung oder verwenden ihn synonym mit dem Begriff der „New Economy“. Vielleicht ist in manchen Punkten sogar etwas Wahres zu finden. Oder verkommt der New-Work-Begriff in dieser Auseinandersetzung eher zum Buzzword im Bullshit Bingo?
Was ist eigentlich New Work?
Als New Work Facilitator beginnen meine Workshops mit dieser Frage und meine Antwort lautet wahrscheinlich in der Regel: „Ich weiß es nicht.“ Ich weiß nicht, was New Work für euch bedeutet, aber ich bin mir sicher, dass ihr es wisst. „New Work ist die Arbeit, die man wirklich, wirklich will.“ Was hat der New-Work-Urvater Frithjof Bergmann damit gemeint? Bergmann war Professor für Sozialphilosophie, wer nach einfachen Antworten und Pauschalaussagen fragt, der wird wahrscheinlich ohne eine Antwort bleiben müssen. Oder man richtet die Frage nochmal an sich selbst.
Was ist eigentlich die Arbeit, die ich wirklich, wirklich will? Spätestens jetzt sollte man feststellen, dass diese Frage nicht nur philosophischer Natur ist, sie ist auch sehr individuell und nur von einem selbst zu beantworten. Die Antwort kann im Ergebnis dennoch sehr konkret ausfallen. Um sich die Beantwortung dieser Frage zu erleichtern, sollte man sich vielleicht zunächst fragen, welche Arbeit man nicht will und beantwortet sich vielleicht damit schon selbst die Frage, was ist eigentlich „Old Work“?
New Work vs. Old Work
Jeder Mensch hat vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen eine individuelle Vorstellung davon, was Old Work oder New Work für ihn selbst bedeutet, dennoch lassen sich diese beiden Begriffe etwas allgemeinverständlicher definieren.
Old Work
- Planung und Kontrolle
- Macht
- Organisation formt Menschen
- Verhaltensnormen
Diese Punkte beschreiben meiner Meinung sehr gut, was die alte Arbeitswelt charakterisiert und lassen sich gut davon abgrenzen, was man allgemein unter dem Begriff New Work fassen kann.
New Work
- Vertrauen
- Respekt
- Mut
- Fokus
- Offenheit
- Selbstverpflichtung
- Individuum formt Organisation
Das klassische Verständnis von Arbeit baute seit der industriellen Revolution auf dem Prinzip von Lohnarbeit und den Begriffen von Zweck und Mittel auf. Der Mensch fungierte in diesem Verständnis als bloßes Werkzeug, das Mittel, um einen Zweck zu erfüllen. Beispielsweise bestand der Zweck von gewissen Arbeitstätigkeiten darin, Aufgaben und Arbeitsschritte am Fließband zu verrichten, der Mensch war bis dahin das Mittel zum Zweck, um diese Arbeiten ausführen zu können.
Bergmann hat den Versuch unternommen das Prinzip von klassischer Lohnarbeit umzukehren und sinnstiftende Funktionen von Arbeit in den Vordergrund zu stellen, indem er Werten, wie Freiheit und Selbstständigkeit einen höheren Stellenwert zuschrieb. „Der Mensch ist nicht für die Arbeit gemacht, die Arbeit ist für den Menschen gemacht.“ Bergmanns Idealform der neuen Arbeit fußt auf einem positiven Menschenbild und hat sich in seiner modernen Interpretation von einer ursprünglichen Sozialutopie hin zu einer von der Wirtschaft anerkannten neuen Arbeitskultur entwickelt. New Work ist ganzheitlich, auf den unternehmerischen Alltag ausgelegt und umfasst künftige Führungsmodelle und Organisationsstrukturen ökonomisch und menschlich.
New Work und Arbeit 4.0
Die industrielle Revolution liegt nun schon ein paar Jahre zurück und während wir schon seit den Neunzigern von Digitalisierung sprechen, ist das Internet für manche Personen immer noch #Neuland, obwohl bereits über Arbeit 4.0 und „Internet of Things“ (IoT) geredet wird.
Ich würde die Begriffe Arbeit 4.0 und New Work nicht synonym verwenden wollen, aber für mich gehören sie dennoch zusammen. Wenn es um Arbeit 4.0 geht, dann geht es um Digitalisierung. Und wenn es um Digitalisierung geht, dann geht es um digitale Transformation. Es geht um digitale Geschäftsmodelle, Chancen und um neue Wachstumspotentiale für Unternehmen und Investoren.
Digitale Transformation bedeutet aber auch Veränderung. Es geht auch um Unsicherheit, um Disruption und um den Wegfall von Arbeitsplätzen. Anstatt dem Menschen als alleiniges Mittel zum Zweck zu gebrauchen, wird der Lohnarbeiter zunehmend durch Maschinen, Roboter und künstliche Intelligenzen (KI) ersetzt. Wer bleiben darf muss sich weiterqualifizieren, es geht um die Befähigung und Anschlussfähigkeit von Mitarbeitern. Wer die neue Technologie nutzen soll, muss sie erst verstehen. Die Verwissenschaftlichung von Tätigkeiten macht unsere Arbeitswelt zunehmend komplexer und führt zu Überforderung, Überlastung und zur allgemeinen Unsicherheit über die eigene Karriere-, Zukunfts- und Lebensplanung. Spätestens an dieser Stelle frage ich mich erneut, was ist New Work?
New Work und Agilität
Agilität, noch so ein Buzzword, welches es zu entmystifizieren gilt. Alle wollen jetzt agil oder neudeutsch „agile“ [ɛdjeil] sein. Einfach ein paar Mitarbeiter auf eine zweitägige Zertifizierung zum „Scrum Master“ oder „Product Owner“ schicken und dann arbeiten wir agil. Zugegeben eine etwas überspitzte Darstellung, aber leider sieht es in der Realität oft genauso aus.
Agiles Arbeiten benötigt weitaus mehr als das Erlernen und Anwenden eines Projektmanagement-Frameworks und ein paar agilen Methoden. Ganz gleich ob Kanban, Scrum, SAFe oder LeSS, agiles Arbeiten erfordert eine Unternehmenskultur, die eine offene und wertschätzende Kommunikation und einen zugleich kritischen Umgang mit Fehlern ermöglicht.
Das Thema Unternehmenskultur ist ein großes Fass, auf dem man häufig lieber den Deckel drauf lässt, wenn man nicht in politische Grabenkämpfe verwickelt werden möchte. Aber gerade dann ist es wichtig, dass man zunächst bei den großen Kulturthemen ansetzt, bevor man überlegt, welches Framework für die Organisation oder für die einzelne Abteilung, das Richtige ist. Wie soll man denn bitte eine offene Fehlerkultur entwickeln, die Kreativität und Innovationen fördern soll, wenn jede Retrospektive zum persönlichen verbalen Schlagabtausch werden kann.
Agilität ist kein Thema, das mit zwei, drei Weiterbildungsmaßnahmen abgefrühstückt ist oder zum „Greenwashing“ im Employer Branding missbraucht werden sollte. Die Entwicklung einer agilen Unternehmenskultur ist meiner Meinung nach notwendig und unerlässlich, wenn man den Anforderungen stetig fortschreitender Transformation standhalten will. Denn die neue Arbeitswelt ist VUKA (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität).
New Work und New Leadership
Insbesondere in Verbindung von New Work, Agilität und Selbstorganisation habe ich schon öfter gehört, dass Agilität keine Führungskräfte braucht. Ich kann schon vorwegnehmen, dass ich diese Meinung nicht ganz teile. Aber wie sieht es eigentlich mit New Work aus, braucht New Work Führungskräfte?
Meine Antwort lautet: Ja. Ein klares Ja! Die Entwicklung von Agilität und Unternehmenskultur ist eine Führungsaufgabe. Scrum Master sind z.B. (häufig laterale) Führungskräfte, die Managementaufgaben wahrnehmen. „New Leadership“ ist daher für mich kein Buzzword oder ein weiteres Framework, das man in einem Workshop erlernt, es für mich ein Bestandteil der Führungskräfteentwicklung für die neue Arbeitswelt.
New Leadership kann als Prüfschema verstanden werden, um die Entwicklung einer Organisation zu betrachten, die sich von der klassischen Führungskultur über die moderne Führung hin zu einer post-modernen Führungskultur entwickelt. Um eine mitarbeitergeführte Organisation zu entwickeln, in der die Individuen sämtliche Tätigkeiten in Selbstorganisation verrichten, sind zunächst erstmal die Führungskräfte im Wesentlichen dafür verantwortlich, dass die Rahmenbedingungen für eine neue Unternehmenskultur geschaffen werden, die sich durch Selbstorganisation und Selbstverantwortung auszeichnet.
Als Management 3.0 Facilitator begleite ich Organisationen, Führungskräfte und Mitarbeiter auf diesem Weg. Auch hier geht es wieder nicht um das Erlernen eines Frameworks. Management 3.0 vermittelt Sichtweisen und Tools, die eine offene Kommunikation ermöglichen, Kreativität fördern und der Organisation dabei helfen eine Fehlerkultur zu entwickeln, die ich persönlich sogar eher als Lern- oder Experimentierkultur beschreiben würde.
5 Prinzipien von New Work
Was ist eigentlich New Work? Wahrscheinlich werde ich die Frage immer noch nicht für euch beantworten können, aber vielleicht seid ihr mittlerweile ein Schritt weiter, wenn es darum geht, zumindest teilweise, diese Frage für euch selbst beantworten zu können.
Jedenfalls sollten wir mittlerweile weg von der Sozialutopie sein und bleiben hoffentlich dennoch beim Grundgedanken von Fritjhof Bergmann. An dieser Stelle möchte die „New Work Charta“ von Humanfy auf keinen Fall unerwähnt lassen, die ich ebenfalls aus voller Überzeugung unterzeichnet habe. Die New Work Charta beschreibt fünf Prinzipien von New Work, die eine übergreifende Definition von New Work ermöglicht und vereinfacht.
Ich reise mittlerweile seit mehr als 20 Jahren durch die Arbeitswelt, aber meine New-Work-Reise hat gefühlt gerade erst richtig begonnen. Vielleicht treffen wir uns irgendwo auf unserer Reise, teilen unsere Erfahrungen oder reisen eine Weile gemeinsam!